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Samaden - Zernez
Noch im Zug Richtung Engadin beschlossen wir, das Stück von Samaden nach Zernez
mit dem Velo zu fahren. Der Veloland-Radweg Nr. 6 führt nahe beim Bahnhof vorbei. Sehr gute Wege
führen bis nach S-chanf. Kurz danach wird es hingegen ruppig: grobe Schotterstrassen und ein ständiges
auf und ab. Diese Strecke ist eigentlich nur noch mit dem Mountain-Bike und ohne Gepäck befahrbar.
Alle die sich das ersparen wollen, sollten sich nicht von der bei S-chanf noch geteerten, guten Strasse
irritieren lassen und bei S-chanf die Talseite auf die Hauptstrasse wechseln. Später ist das bis Zernez
nicht mehr möglich. Dann ein schönes Zimmer im Hotel Spöl. Im Hotel Alpina gleich
daneben einen Veltliner und gute, aber völlig lieblos im Suppenteller servierte Engadiner Kalbsleber
mit Rösti. Aber der Koch des halb leeren Restaurants hatte ja auch keine Zeit, er musste sich
intensiv mit den Gästen am Nachbartisch unterhalten.
Zernez - Ofenpass - Schluderns
Der Ofenpass ist ein gemeiner Pass, da ist man bei Ova Spin schon mal auf über 1900 Meter
angekommen und denkt sich, dass man es schon fast bis zur Passhöhe von gut 2100 Meter geschafft
hat, und dann folgen zuerst nochmals 200 Meter Abfahrt.
 Aber der Reihe nach. Bei schönem, aber nicht allzu warmem Wetter wagten wir uns an die 700 Meter
Aufstieg. Gleich Ausgangs Zernez wird es ziemlich steil und es geht durch ein paar lästige Galerien. Die Gegend
wird immer wilder und die Steilheit lässt etwas nach. Weit unten braust der Spöl Richtung Tal.
Dann, wie am Anfang schon erwähnt, Ova Spin. Wunderbare Rundsicht, eben auch auf die bevorstehenden
200 Meter Abfahrt. Auf der ganzen Strecke Hunderte von Motorrädern. Bis auf eine Ausnahme (Gold Wing mit
Seitenwagen, Belgisches Kontrollschild) fahren sie aber anständig und halten genügend Abstand.
Nun also nichts wie wieder runter bis Punt da Drossa, wo die Strasse nach Livigno abzweigt. Und nun müssen
die 200 Meter wieder erklommen werden. Zuerst aber noch eine kleine Stärkung im Hotel Il Fourn.
Die Steigung nimmt zu, richtig steil wird’s dann auf den letzten hundert Metern vor der Passhöhe.
Die Anstrengung wird belohnt durch eine wunderschöne Aussicht übers Münstertal. Zuerst
heisst es aber sich wärmer
anziehen, es ist sehr kalt und die blühenden Soldanellen zeigen auch an, dass der Schnee noch nicht lange weg ist.
Deshalb beschliessen wir (auch angesichts der vollbesetzten Terrasse), nicht wie
zuerst geplant, auf der Passhöhe zu essen, sondern fahren bis zum nächsten Dorf hinunter und essen dort
etwas.
Dann weiter durchs Münstertal. Dank der breiten, steilen Strasse mit nicht allzuviel Verkehr habe ich
mühelos meinen etwa zehn Jahre alten persönlichen Geschwindigkeitsrekord gebrochen.
In Müstair erreichen wir die italienische Grenze, aber nicht ohne vorher noch die neu renovierte Kirche
des Klosters St. Johann, ein UNESCO Weltkulturerbe, zu besichtigen.
Weiter geht’s nach Glurns, der kleinsten Stadt in Italien. Eigentlich handelt es sich dabei um ein
Bauernkaff mit etwa 850 Einwohnern. Da es aber komplett mit einer Stadtmauer inklusive mindestens
sieben Türmen umgeben ist, gilt es halt als Stadt. Und da jeder Bauernhof auch noch von Mauern umgeben
ist, besteht der ganze Ort fast nur aus Mauern.
Hier stossen wir denn auch auf den Etsch-Radweg, einem Teil der Via Claudia Augusta, dem wir in den
nächsten Tagen folgen werden. Nach einem Bier geht es weiter nach Schluderns, dessen Wahrzeichen, die riesige
Churburg über dem Ort schon von weitem zu sehen ist. Wir nehmen ein günstiges Zimmer in der Pension Längerer
und beschliessen den Tag mit Knödel und Käsenockerln in der
alten Mühle .
Schluderns - Meran - Lana
Am nächsten Morgen dann weiter, zuerst auf dem Radweg entlang des Etsch, dann über
kleine Landstrassen. Immer mehr prägen Obstplantagen - von Obstgärten zu sprechen
wäre angesichts des praktisch überall unter den Bäumen weggespritzten Grases
etwas übertrieben - die Wege. Bei Prad kommt rechts die Strasse aufs Stilfser Joch ins
Blickfeld. Die werden wir dann fahren, wenn wir sonst absolut keine Tourenideen mehr haben.
Weiter geht’s durch
kleine Dörfer - Laas mit den Marmorbrüchen, Göflan, Schlanders der Hauptort
des Vinschgaus, Latsch, Kastelbel - und immer wieder durch Apfelplantagen. Am Weg stehen
überall Holunderbüsche. Die Luft riecht nach Holunderblüten, in den Dörfern
gelegentlich auch nach Kanalisation.
Irgendwann wird weit unten Meran sichtbar. Der Radweg geht für kurze Zeit auf die
Hauptstrasse, was aber angesichts des Gefälles kein Problem ist. Nach einer
rasanten Abfahrt haben wir die Stadt dann auch schon erreicht.
Wir spazieren der Passerpromenade entlang, am Kurhaus vorbei. Bei der Wandelhalle an der
Winterpromenade findet ein Flohmarkt statt. Hier hört man zum ersten mal fast so viel Italienisch wie Deutsch.
Wir schauen uns kurz um und wollen dann weiterfahren.
Da ist er aber auch schon, der auf jeder Tour obligate Platten. Ich pumpe so viel wie nötig,
und wir machen uns auf der Suche nach einer Tankstelle, um dort dann den Schlauch zu wechseln
und richtig zu pumpen. Dies erweist sich schwieriger als erwartet, da es Samstag ist, und die
unbedienten Tankstellen keine Pumpstation haben. Schon ziemlich ausserhalb finden wir schliesslich
doch noch was wir suchen. Rasch ist dann der Schlauch gewechselt und wieder hart gepumpt. Da wir
uns jetzt aber an die Hauptstrassen gehalten haben, finden wir den Radweg nicht mehr. Also
folgen wir erst mal den Strassenwegweisern. Auch hier riecht es nach Holunderblüten. Unter die
Obstkulturen mischen sich immer mehr auch Reben. Irgendwo überqueren wir die Etsch und
übersehen dabei, dass der Radweg wahrscheinlich unter der Brücke hindurch führt.
Wir beschliessen im nächsten Ort eine Unterkunft zu suchen. Als wir dann nach Lana kommen,
findet dort ein Dorffest statt, nicht gerade das, was wir uns im Umfeld einer Unterkunft
wünschen. Also fahren wir noch etwas weiter und fragen dann im nächsten Hotel nach einem Zimmer.
Doch da ist alles ausgebucht, in den nächsten paar ebenfalls. Wir hatten uns nicht überlegt, dass viele
den Auffahrtstag für ein verlängertes Wochenende nutzten. Schliesslich fanden wir in der
Pension Unteranger in Niederlana
ein Einzelzimmer, in das sich noch ein Feldbett stellen liess. Wir erholten uns bei einem Weissbier
und spazierten später zum
Alten Brandiser Weinkeller, wo wir ein feines Nachtessen genossen.
Lana - Bozen - Trento
Dank Beschreibung der Pensionsleiterin fanden wir dann am andern Morgen sehr schnell den neu
erstellten Radweg. Dieser ist auf dieser Strecke erst in diesem Jahr eröffnet worden und
scheint die Radfahrer aus der ganzen Gegend anzuziehen. Weiterhin begleitet uns der Duft von
Holunderblüten, gelegentlich auch derjenige von Jasmin. Auf dem schönen Weg abseits von
Ortschaften und Strasse fährt es sich wie von selbst. Nur an Verpflegungsmöglichkeiten fehlt
es noch. Bald schon ist Schloss Siegmundskron bei Bozen zu sehen. Eigentlich wollten wir Bozen
noch besichtigen, aber irgendwie haben wir im dichten Veloverkehr die Abzweigung verpasst. Lange
Zeit
verläuft der Weg auf einer schmalen Halbinsel zwischen dem Etsch und dem vom Brenner herkommenden
Eisack. Nach dem Zusammenfluss ist dann aus dem Etsch schon ein beachtlicher Strom geworden. Auch hier
wieder Holunderblütenduft. In der
Nähe von Auer finden wir dann doch noch eine Imbissbude, bei der wir uns verpflegen können.
 Immer mehr wird Italienisch gesprochen, und nach Salurn, der südlichsten Stadt des
Südtirols, ist es auch vorbei mit den zweisprachigen Ortsbezeichnungen. Bald erreichen wir
dann Trento.
Diese Stadt war mir bisher praktisch unbekannt. Um so überraschter war ich von der gut erhaltenen
mittelalterlichen Altstadt mit dem imposanten Dom. Im Hotel Venezia direkt neben dem Domplatz fanden
wir auch gleich eine günstige Unterkunft. Nach einem Rundgang durch die Stadt beschliessen wir
den Tag mit einem feinen Nachtessen und einer guten Flasche Wein.
Trento - Verona
Hier wird das Tal langsam breiter und es breitet sich immer mehr Industrie aus.
Weiter geht es - meistens begleitet von Holunderblütenduft - durch Reb- und Kiwifelder dem
Etsch entlang. Links in der Höhe das Castello Beseno, eine der grössten Burganlagen des
Trentino, sichtbar. Vorbei geht’s an Rovereto bevor dann
bei Pilcante eine kurze Strecke auf der Hauptstrasse folgt. Da wir hungrig sind, beschliessen wir,
bis zum nächsten Dorf weiterhin der Strasse zu folgen. Es sollte sich lohnen: ein Wegweiser
an der Strasse weist zu einem unscheinbaren Gebäude, das
Ristorante Erta. Dort gibt es keine Karte, aber Pasta,
Risotto, Bistecco und Salat. Wir schaffen nicht alles und dann werden auch ungefragt auch noch
Dessert und Liquori gebracht.
Als wir die Rechnung erhalten staunen wir: 38€ für zwei Personen. Bei Vo Sinistra
erreichen wir dann wieder den Radweg. Kurz danach kommen wir dann in die Provinz Veneto. Der
Holunderblütenduft wird gelegentlich von Jasmin abgelöst und die Radwegweiser werden
immer seltener und verschwinden dann fast ganz. Prompt verfehlen wir den Weg. Aber bald sind wir
wieder zurück auf den kleineren Strassen. Bei Canale wird das Tal wieder eng, und die
Strasse steigt steil an
und auf halber Höhe fliesst plötzlich ein Kanal aus dem Berg. Weiter geht’s, links und
rechts Marmorbrüche, und überall Lastwagen mit Steinen, der Kanal fliesst jetzt statt aus
dem Berg über ein Aquadukt. So erreichen wir schliesslich Verona.
Nach dem wir eine Unterkunft gefunden hatten, spazierten wir Richtung Zentrum. "Take it
easy" tönte es irgend woher im Country-Rock-Stil. Nach einem kurzen Zwischenhalt erreichen
wir den Platz beim Amphitheater. Jetzt erkennen wir auch, woher die Musik von vorher kam; im Theater
spielen die Eagles. Wir setzen uns in ein Strassenkaffee daneben, hören der Musik zu -
"Doolin Dalton" ist grad dran - und bestellen eine Pizza. Diese
schmeckt höchstens durchschnittlich und billigste Flasche Wein dazu kostet genau gleich viel,
wie das ganze Menü vom Mittag. "Take it to The Limit" singen die Eagles, und "James Dean" und
ihre weiteren Hits. Bis
"Hotel California" warten wir nicht mehr. Wir nehmen uns ein Taxi, bevor das Konzert zu
Ende ist, und fahren zurück zum Hotel.
Verona
Am nächsten Tag regnet es in Strömen. Da wir aber nicht vorhaben, an diesem Tag aufs Velo zu
sitzen,
stört uns das nicht so sehr.
Wir beschliessen uns zuerst um die Bahntickets zu kümmern und spazieren zum Bahnhof. Das ist
eine kleine Geduldsprobe,
das Einsparen von Bahnpersonal scheint unterdessen eine europaweite Unsitte
zu sein. Nachher machen wir uns zu Fuss auf die Besichtigung der Altstadt. Eindrücklich das
Castelvecchio mit der Ponte Scaliero. Auf dem Balkon des "Hauses der Julia" posieren sich im
Minutentakt Paare aus Japan, Afrika oder von wo auch immer. Jetzt, da kein Konzert läuft,
können wir auch das Theater auch von innen besichtigen. Gewaltig, was da vor bald 2000 Jahren
gebaut wurde.
Dann beschliessen wir, die Erkundigung mit dem Bus fortzusetzen. Prompt erwischen
wir den falschen Bus und kommen so zu einer Rundfahrt durch die Aussenquartiere. Die sind allerdings
nicht so schmuck, wie die Altstadt, dafür sind Kaffee und Wein billiger.
Das Wetter ist unterdessen wieder besser geworden, also gehen wir nochmals zu Fuss, entlang des Etsch
durch die Altstatdt. Es gäbe noch viel zu entdecken.
Abends ein gutes Essen im Ristorante Memphis di Molinario in der Nähe des Hotels.
Rückreise
 Nun gehts also wieder nach Hause, bei der Porta Nueva ein letzter Blick Richtung Altstatdt. Dann
besteigen wir den Zug Richtung Mailand. Erst im Nachhinein haben wir entdeckt, dass es auch einen
direkten Zug nach Zürich gegeben hätte. Zügig gehts durch die Poebene und bald ist auch Milano
erreicht. Dort gibt es auch gleich einen Anschlusszug Richtung Norden. Im Speisewagen teures, fades,
italienisches Bier. Rasch nähern wir uns den frischverschneiten Alpen. Dann in Bellinzona die
Durchsage, dass wir in Biasca auf Busse umsteigen müssten. Niemand weiss warum, es kursiert ein
Gerücht über einen Waldbrand. Ich kann es mir kaum vorstellen, es hat ja eben erst noch geregnet.
Kurz vor Biasca dann Entwarnung, der Zug fährt durch. Zwischen den Gleisen bei den Kehrtunnels bei
Faido sehen wir es dann doch, Feuerwehr, Hubschrauber und brennendes Gestrüpp.
In Airolo werden dann noch die mit den Bussen transportierten Passagiere der vorherigen Züge aufgenommen.
Zum Glück haben wir schon einen Sitzplatz, denn selbst Stehplätze werden knapp. Die Leute haben in
ihren Sommerkleidern teilweise fast zwei Stunden in der alpinen Kälte ausgehalten. Mit etwa zwei Stunden
Verspätung kommen wir schliesslich zu Hause an. Erst am nächsten
Tag erfahren wir dann, dass auch die Gotthardautobahn wegen eines Felssturzes seit diesem Tag gesperrt
war.
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